Vor langer Zeit habe ich eine TTT-Kritik verfasst, die mir gerade wieder in die Hände kam. Ich weiß, es ist schon länger her, nichtsdestotrotz möchte ich sie Euch nicht vorenthalten:
Tolkiens „Der Herr der Ringe“ im Kino, aufwändig in Szene gesetzt vom neuseeländischen Regisseur Peter Jackson
Dass der neuseeländische Regisseur Peter Jackson Tolkiens Romanepos „Der Herr der Ringe“ so in einen Realfilm umsetzen kann, dass sowohl Tolkienpuristen als auch unbelasteten Kinobesucher das Kino zufrieden verlassen, hat er bereits mit seinem ersten Teil „Die Gefährten“ bewiesen. Umso kritischer beäugt das Auge jetzt den zweiten Teil „Die zwei Türme“.
Dieser Teil ist von der Umsetzung her mit Abstand der schwierigste, denn er stellt statt eines eigenständigen Films nur den Mittelteil einer Trilogie dar. Er ist das Bindeglied, das die Handlungsstränge nach dem Auseinanderfallen der Gefährten am Ende des ersten Teils zum Höhepunkt, dem dritten Teil „Die Rückkehr des Königs“, hinführt. Dadurch fehlen ihm Anfang und Ende.
Verglichen mit dem ersten Teil wird die Handlung deutlich komplizierter und komplexer. Die Menge der Handlung nimmt bei gleicher Filmlänge zu und es finden drei bis vier Handlungsstränge parallel und unabhängig voneinander statt. Neu hinzugekommene Personen erhöhen die Anzahl der Hauptfiguren auf knapp 20. Die Landkarte Mittelerdes, die der Leser des Buchs zu jedem Zeitpunkt in die Hand nehmen kann und so den Fortgang der Handlung geografisch verfolgen kann, bleibt dem Kinobesucher völlig verborgen. Uneingeweihte verirren sich deshalb hoffnungslos.
Dadurch bestand für die Drehbuchautoren die große Gefahr, dass Zuschauer, die das Buch nicht gelesen haben bzw. die Handlung nicht hinreichend vor dem Kinobesuch kennen, leicht den Überblick und damit das Interesse am Film verlieren.
Gandalf ist mit dem Balrog in die Tiefe gestürzt, Boromir wurde von den Pfeilen Sarumans getötet und die Gefährten wurden in alle Himmelrichtungen zersprengt. Die Gemeinschaft des Rings ist zerbrochen. Doch es soll noch schlimmer kommen. Der Kampf um Mittelerde bekommt in „Die zwei Türme“ eine neue Dimension; die Gefährten kämpfen in den verschiedensten Regionen Mittelerdes fast hoffnungslos gegen die übermächtigen Truppen Saurons und Sarumans und für die Zerstörung des Rings.
Man merkt es deutlich: Es wird für Jackson im Mittelteil zunehmend schwieriger, einen sinnvollen und für alle tragbaren Kompromiss zwischen tolkienistischen und unbedarften Kinobesuchern herzustellen. Was im ersten Teil gut geklappt hat, wirkt im zweiten nicht ganz überzeugend. Der breite, sichere Stand scheint zum Spagat zu werden.
Jackson löst das große Problem, dass die beiden wichtigen Handlungsstränge im Buch getrennt nacheinander abgehandelt werden, durch einen ständigen Wechsel zwischen Frodo und Sams beschwerlichem Weg nach Mordor und den Geschehnissen im Reich der Rohirrim. Diese Entscheidung macht den Film zwar erheblich unübersichtlicher, letztendlich jedoch spannender und sehenswerter.
Der Verleih „New Line Cinema“ hatte Jackson zur Auflage gemacht, dass die Spielzeit drei Stunden nicht überschreiten dürfe. Die Not, in die Jackson dadurch gerät, zeigt sich in der ersten dreiviertel Stunde des Films am deutlichsten: die Handlung hetzt wie die drei Jäger Aragorn, Legolas und Gimli ohne Rast voran. Die Dialoge wirken etwas zu aufgesetzt und platt, wie beispielsweise die pseudopoetische Bemerkung des Elben Legolas „Eine rote Sonne geht auf. Es ist heute Nacht viel Blut vergossen worden.“ Je weiter der Film jedoch voranschreitet, desto überzeugender werden sie.
Wegen der Handlungsdichte und der Vielzahl an Personen fehlt es den Charakteren leider an Tiefe. Es scheint auf den ersten Blick, dass einzig dem Zwerg Gimli dabei etwas mehr Platz eingeräumt wurde. Bei genauerer Betrachtung offenbart sich einem jedoch, dass seine Figur – von zwei Halbsätzen abgesehen – auf Witz und Unterhaltung reduziert wurde. Womöglich sah sich Jackson dazu gezwungen, um die düstere Atmosphäre des zweiten Teils nicht allzu erdrückend zu gestalten. Im dunklen Schlachtgetümmel muss der Zwerg in regelmäßigen Abständen für Lichtblicke in Form von „Publikums-Lachern“ sorgen. Jedoch hat die Dunkelheit im zweiten Teil noch längst nicht ihren Höhepunkt erreicht, zumal Jackson einige Handlungselemente für den dritten Teil aufgespart hat, dessen Länge dadurch wohl die Dreieinhalb-Stunden-Grenze sprengen wird. Was für einen Gimli werden wir dann erleben?
Den absoluten Glanzpunkt des Films stellt zweifellos das Wesen Gollum dar. Gollum, der ursprünglich wie Frodo und Sam ein Hobbit war und sich durch die jahrelange Benutzung des Rings in ein bemitleidenswerten Wesen verwandelte, ist geprägt von zentralen Themen um Besessenheit, Verzicht, Treue, Verrat und Freundschaft. Gollum wird durch eine CGI-Animation der neuseeländischen Special-Effects-Firma WETA Workshop atemberaubend realistisch, detailliert und feinfühlig in Szene gesetzt. Ein realer Schauspieler selbst hätte das kaum besser gemacht. Seine Zerrissenheit zwischen der Gier dem Ring und seinem guten Kern, in dem sein Hobbit-Vorleben zum Vorschein kommt, zieht sich dramaturgisch perfekt durch den Film und lässt den Zuschauer ständig zwischen Mitleid, Hass, Sympathie und Misstrauen hin- und herpendeln.
Lobend muss auch Brad Dourif alias Grima Schlangenzunge erwähnt werden, der in einigen wenigen, dicht gedrängten Szenen in knapp bemessener Zeit eine außerordentliche homogene Leistung zeigt.
Im Vergleich zum ersten Teil haben die Drehbuchautoren erheblich mehr und grundlegendere Änderungen an Tolkiens Romanvorlage vorgenommen.
Die Änderungen scheinen unabhängig von ihrem Grad jedoch längst nicht so gelungen wie im ersten Teil. Sam stellt in Osgiliath richtig fest: „Eigentlich dürften wir gar nicht hier sein, an diesem Ort.“ Warum verschleppt Faramir, der Bruder Boromirs, Frodo und Sam in die gondorianische Stadt Osgiliath? Und warum ist seine Gier nach dem Ring so im Vordergrund? Die Verfälschung des Charakters Faramirs ist nicht wirklich nachvollziehbar. Der Charakter bleibt bis zum Schluss mehr aufgrund des Drehbuches als aufgrund der schauspielerischen Leistung von David Wenham sehr blass.
Haldir, seine militaristischen Elben und sein unnötiger Heldentod wirken in der Schlacht um Helms Klamm reichlich deplaziert. Will Jackson dadurch die vielen Trugtode seiner Hauptfiguren legitimieren, indem er Haldir, eine unwichtige Nebenfigur, tatsächlich sterben lässt?
Trotz allem nutzt Peter Jackson den heterogenen Mittelteil für zahlreiche ruhige und poetische Momente. Besonders die grandiosen Landschaftsaufnahmen Neuseelands können wieder überzeugen. Jacksons Sinn für bildgewaltige, epische Szenen rettet den Film letztendlich. Es ist wirklich bemerkenswert, mit welcher Bildgewalt Jackson die beiden großen Schlachtszenen des Films beschließt, ohne dabei die Details aus den Augen zu verlieren: Gandalf der Weiße, Éomer und die Rohirrim preschen den steilen Abhang hinunter und können so in letzter Sekunde mit dem Sonnenaufgang die aussichtslose Schlacht an Helms Klamm gegen die vielen zehntausend Orks Sarumans doch noch gewinnen. Die Ents, Baumhirten in Gestalt von Bäumen aus dem alten Wald Fangorn, zerstören mit äußerster Gewalt der Natur Isengard, den Turm Sarumans. Auch die orchestral-epische Musik Howard Shores mit ihrer Mischung aus Bombast und Zurückhaltung trägt dazu bei, dass der Film differenziert, aber dennoch überwältigend wirkt.
Es bleibt also die Hoffnung auf die „Special Extended Version DVD“, die im Juli erscheinen soll und Peter Jacksons „Director’s Cut“ zeigen wird. Wichtige Szenen, die in der Kinofassung verlorengegangen sind, könnten den Film dann abrunden und vollends zum Erlebnis machen: Szenen mit Merry und Pippin bei den streitenden Uruk-hai. Oder Faramir, der das zerbrochene Horn seines gefallenen Bruders Boromir im Wasser des Anduin entdeckt und damit von dessen Tod erfährt. Wie es sich schon beim „Director’s Cut“ des ersten Teil gezeigt hat, wird erst diese Version die eigentlichen „zwei Türme“ zeigen, so wie sie Peter Jackson und sein 2500-köpfiges Team ursprünglich konzipiert hatten.
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