Mittelerde im Rollenspiel

Nachrichten, Adaptionen, Hörbücher/Hörspiele, Spiele (Rollenspiele, Kartenspiele, Brettspiele, Computerspiele, Tabletop), Parodien/Lustiges, Rätsel/Quiz, Referate/Seminararbeiten, Sendungen (TV, Radio), Musik, Gruppen/Vereine und ähnliches

Mittelerde im Rollenspiel

Beitragvon Halatir » Sa, 08 Jan 2005, 20:44

Wie Aldebaran vorgeschlagen hat, verlege ich mein Thema hiermit in das Tolkienisten-Forum. Falls sich jemand neu dazugeschaltet hat: mein Hobby ist das Rollenspiel, welches ich seit etwa 20 Jahren mit Inbrunst betreibe. Mit 34 Jahren eher ein Opa unter den Rollenspielern, bin ich z.Z. fast nur noch als Meister (Spielleiter), nur ganz selten als Spieler unterwegs. Mein "Spezialgebiet" beim Leiten von Spieleabenden (und mein heimliches Laster) ist dabei J.R.R. Tolkien's Mittelerde.
Aber greifen wir nicht vor. Es ist mir zu Ohren gekommen, daß es möglicherweise Leute gibt, die mit dem Begriff Rollenspiel (als Gesellschaftsspiel, nicht als Trainigsmethode bei der Berufsausbildung oder als Möglichkeit der Luststeigerung bei erotisch gelangweilten Ehepaaren) nur wenig anfangen können. Nun denn, Uneingeweihte, lasset euch erleuchten.

Teil 1: Historisches und Allgemeines

In den Siebziger Jahren des letzten Jahrhundert kamen einige (wie ich vermute, nicht ganz ausgelastete) amerikanische Studenten auf die Idee, daß es doch ziemlich groovy wäre, wenn man in die Rollen verschiedener, damals nur aus Büchern und Kurzgeschichten bekannter Helden schlüpfen und in einer imaginären Welt grenzenloser Möglichkeiten atemberaubende Abenteuer erleben könnte. Immer nur auf Parties rumhängen und irgenwelches Zeugs zu rauchen war wohl auf Dauer etwas langweilig geworden. Damit dürfte der Herr der Ringe, der in den Siebzigern in Amerika einen vorher nicht gekannten Grad an Popularität erreicht hatte, neben Howard's Conan-Geschichten und dessen literarischen Nachfahren ein direkter Erzeuger des Fantasy-Rollenspiel-Gedankens gewesen sein.
Das erste offizielle Regelwerk für Rollenspiele nannte sich "Dungeons&Dragons" (D&D), später überarbeitet, erweitert und betitelt als "Advanced Dungeons&Dragons" (AD&D), welches in Amerika noch heute viel und gerne gespielt wird. Angesichts der gerade genannten "grenzenlosen Möglichkeiten" läuft so ein typischer (A)D&D-Spieleabend meiner Meinung nach allerdings in eher ziemlich eingeschränkten Bahnen ab: die Spieler übernehmen die Rollen von zumeist kämpferisch veranlagten Spielcharakteren (auch "Helden" genannt) und ziehen im Rahmen von eher fadenscheinigen Alibi-Handlungen nach dem Schema "betretet das Höhlensystem des üblen Erzmagiers und befreit die holde Prinzessin, die er gefangenhält" aus, um allerhand Monster abzumurksen, die das Pech haben, ihnen in die Quere zu kommen. Nebst diversen Wertgegenständen und magischen Tränken, die diese aus unerfindlichen Gründen immer bei sich tragen, sacken die Spieler für jedes getötete Monster sogenannte Erfahrungspunkte ein, die sie dann benutzen können, um die Fähigkeitswerte der Spielfigur zu verbessern. So weit, so eher langweilig. Der in dieser Hinsicht noch anspruchsvollste (A)D&D-Hintergrund sind übrigens die Forgotten Realms (Vergessenen Reiche), die den PC-Rollenspielern unter euch durch die zugegebenermaßen ziemlich gut gemachten "Baldur's Gate", "Icewind Dale" und "Neverwinter Nights"-Spiele geläufig sein sollten. Natürlich sind die Forgotten Realms wieder mal bei Tolkien abgeguckt, aber ebenso natürlich mit keinerlei atmosphärischem Feingefühl oder Kreativität umgesetzt. Es gibt Elfen, Orks und Zwerge und außerdem ungefähr eine Trillion verschiedene Monsterarten vom einfachen Goblin über rote und goldene Drachen bis hin zu extradimensionalen Schreckenswesen mit ungeahnten Körperformen, so viele, daß die ganze Fantasywelt eigentlich hoffnungslos überbevölkert sein müßte (wahrscheinlich liegt hier der Grund dafür, daß die einzige Daseinsberechtigung der Spielcharaktere im Beseitigen von Monstern zu bestehen scheint). Soviel Spaß man in den Forgotten Realms auch haben mag, im Grunde geht es immer nur um dasselbe: Monster aufstöbern, Monster kaltmachen, Monsterleiche fleddern, der nächste bitte. Aber wer's mag...

Anfang der Achtziger Jahre erreichte der Trend dann aus Amerika kommend unsere Gestade. Das erste öffentliche deutsche Rollenspiel, "Das Schwarze Auge" (DSA) genannt, wurde von der Zielgruppe der etwa Zehn- bis Zwanzigjährigen (zu der ich damals auch zählte) zunächst als Geheimtipp gehandelt, fand dann aber, nachdem wir kaufwilligen Kinder unseren Eltern klargemacht hatten, daß es sich "nur" um eine Art Gesellschaftsspiel handelte, durchaus Anklang. Das D&D-Regelwerk wurde übrigens auch ins Deutsche übersetzt, Erfolg und Nachfrage hielten sich aber in Grenzen. Das Schwarze Auge mit der Hintergrundwelt "Aventurien" traf den deutschen Geschmack wohl eher. Um mal wieder ein bischen zu provozieren, möchte ich an dieser Stelle anmerken, daß DSA mir persönlich von Anfang an zu idyllisch und überschaubar erschien. Die Elfen (zum Glück ohne B in der Mitte) sind eher zierlich und niedlich, die Zwerge scheinen mehr deutschen Vorgärten entsprungen zu sein als fernen mythischen Zeitaltern und die verschiedenen Monster- und Menschenkulturen, Rassen und sogar klimatischen Bedingungen, die sich auf einem einzigen, kleinen Kontinent zusammenballen, scheinen mir einer guten, glaubhaften Rollenspiel-Atmosphäre nicht sehr zuträglich zu sein. Orks gibt es in Aventurien auch, nur werden die da in der Mehrzahl meist "Orken" genannt (wahrscheinlich, weil's deutscher klingt). Aber das ist natürlich nur meine Meinung, mit der ich ziemlich alleine dastehe, denn noch immer ist DSA das bestimmende deutsche Rollenspiel und die Reihe wird auch heute noch, nachdem der Rollenspiel-Hype längst Vergangenheit und das ganze zumindest in meiner Ecke Deutschlands zu einem ausgesprochenen Nischen-Hobby geworden ist, durch immer recht gut und ansprechend gemachte Neuerscheinungen weitergeführt.

Neben diesen beiden großen Rollenspielen sind natürlich in den letzten zwanzig Jahren hier wie auch in Übersee viele andere entstanden (und nicht wenige wieder in der Versenkung verschwunden). Praktisch jede Sparte der Phantastik hat ein eigenes Rollenspiel-System (Lovecraft's Cthulhu und die World of Darkness-Serie für das Horror-Genre, Traveller für Sci-Fi usw.) Ein auch in deutschen Landen sehr beliebtes Rollenspiel namens "Shadowrun" mixt Elemente aus Fantasy, Cyberpunk und Endzeit-Science-Fiction zu einem ganz eigenen, atmosphärischen Hintergrund. Auf den ersten Blick wirkt so ein mit Cyberimplantaten bestückter Troll schon etwas befremdlich, aber offensichtlich fahren viele Rollenspieler darauf ab und das schon seit vielen Jahren (was mich ziemlich überrascht hat, da ich dem System nach den ersten Erscheinungen keine lange Lebensdauer prophezeit hatte). Es gibt auch Nicht-Phantastik-Rollenspiele (z.B. im Detektivmilieu a la Sherlock Holmes usw.), aber generell üben phantastische Rollenspielszenarien den größeren Reiz aus, wahrscheinlich einfach, weil man hier Dinge "erleben" kann, die im täglichen Leben nicht nur ungewöhnlich sondern sogar völlig unmöglich wären.

Was eigentlich alle mir bekannten, kommerziellen Rollenspielsyteme verbindet, ist die Tatsache, daß die Spieler ihre "Helden", d.h. die Spielfiguren die sie durchs Spiel führen wollen, aus ganz bestimmten "Schubladen" oder Sparten wählen müssen. Dies sind die sogenannten "Heldenklassen": Krieger, Magier, Streuner (Abenteurer), Waldläufer, Dieb usw. Wenn einem Spieler etwas ganz anderes vorschwebt, hat er leider keine andere Möglichkeit, als sich die seinen Vorstellung am nächsten kommende Sparte auszusuchen. Bei AD&D hat dieses Dilemma auf typisch amerikanisch-praktische Weise dazu geführt, daß man mit der Zeit auch andere Klassen "dazulernen" kann: daraus resultieren dann teilweise recht sinnfreie "Berufsbezeichnungen" wie "Waldläufer-Dieb" oder "Kämpfer-Magier-Barde". Auch das schon oben beschriebene Monster-Plätten-Belohnungssystem hat sich bis heute in allen großen Rollenspielsystemen gehalten, manchmal wird es aber in der Form relativiert, daß höherstufige (d.h. erfahrenere) Helden für das Meucheln geringerer Gegner, die für sie eigentlich keine Bedrohung mehr sind, weniger Erfahrungspunkte (EP) bekommen (Spielleiter: "vor euch führt ein unbeleuchteter Gang in die Tiefen des Berges, ein paar handtellergroße Spinnen huschen davon, als das Licht eurer Fackeln auf sie fällt...", Spieler: "Aha! Ich springe vor und zertrete eine der Spinnen! Krieg ich dafür'n EP?").
Erfahrungspunkte werden aber auch für das erfolgreiche Abschließen eines "Abenteuers" und ggf. als Belohnung für besonders gut gespielte Szenen und gute Einfälle des Spielers vergeben. Hat der Erfahrungspunkte-Stand eines Helden dann einen bestimmten Schwellenwert erreicht oder überschritten, so steigt der Spieler in eine neue Stufe auf, was bedeutet, daß er seine "Fähigkeits-" oder "Charakterwerte" verbessern kann. Die Stärken und Schwächen eines Helden werden schon bei seiner "Erschaffung" durch den Spieler mit Zahlenwerten beziffert, damit man im Verlaufe eines Abenteuers durch Würfeln ermitteln kann, ob ihm ein bestimmtes Vorhaben gelingt oder nicht, was wiederum den Handlungsverlauf ändern und den Helden in Gefahr bringen kann - beides sehr wichtig, um eine spannende Atmosphäre zu schaffen. Diese Zahlenwerte können vom Spieler gesteigert werden. Als Spielleiter achte ich persönlich darauf, daß Erfahrungspunkte erst ganz am Ende einer Spielesitzung vergeben werden, weil es doch ein bischen nervt, wenn der Spieler während eines spannenden Kampfes plötzlich ruft: "Hey, geil! Ich bin Stufe 13!!!"
Diese Möglichkeit der Verbesserung eines Helden über Zahlenwerte macht einen Haupt-Anreiz für die Rollenspieler aus, führt aber leider bei Anfängern oft zu unfreiwillig komischen Einlagen. "Darf ich mich vorstellen. Ich bin Uranias, ein Krieger der ersten Stufe. Meine Körperkraft beträgt 15 und meine Konstitution sogar 17 und deshalb solltet ihr euch besser überlegen, ob ihr diese holde Maid noch länger belästigen wollt!"

Na gut. Soviel für's erste. Was das ganze mit Mittelerde zu tun hat, und wie ich versuche, trotz solcher Hindernisse zumindest etwas echte Tolkien-Atmosphäre in meine Rollenspiel-Abenteuer einzubringen, dazu mehr beim zweiten Teil. In der Zwischenzeit hoffe ich schonmal auf ein paar Reaktionen. Was denkt ihr? Rollenspiel in Mittelerde: Frevel oder nicht? Wenn ja, warum, wenn nein, warum auch nicht.

P.S.: Übrigens ist alles oben gesagte nur mit Vorsicht zu genießen. Da ich etwa 20 km fahren muß, um zur nächsten großen Stadt mit einem gut sortierten Rollenspielladen zu kommen, und da ich mich hier im tiefen Westerwald nicht wirklich mit anderen Rollenspielleitern austauschen kann, bin ich rollenspieltechnisch nicht wirklich auf dem neuesten Stand und gebe größtenteils Wissen aus zweiter Hand weiter. Wenn Angaben falsch waren, bitte berichtigen.

@knechtodawas: das Mittelerde-Rollenspiel von Pegasus IST das Rollenspiel zu den HdR-Filmen, oder? Ich hatte immer die Firma Decipher im Kopf, die wohl auch irgendwie mit beteiligt ist. Ehrlich gesagt, hatte ich befürchtet, daß es nicht wirklich gut wird, weil es sich zu sehr auf die Filme konzentriert. Oder hast du einen anderen Eindruck?
Zuletzt geändert von Halatir am Mo, 10 Jan 2005, 18:55, insgesamt 1-mal geändert.
Benutzeravatar
Halatir
 
Beiträge: 22
Registriert: Mo, 03 Jan 2005, 19:13
Wohnort: Heiligenroth (Düsterwald)

Beitragvon knechtodawas » So, 09 Jan 2005, 11:42

Das nenne ich mal einen ausführlichen Beiträg. Du hast die Geschichte des Rollenspiels und seine unterschiedlichen Erscheinungsformen wirklich gut erläutert. Zwar würde ich den Ursprung dieser Form von Spielen bereits in den 60ern in der Spielwelt Magira sehen und die entscheidende Rolle von Tabletops erwähnen (D&D war zunächst ein Regelwerk für Tabletops mit wenig Spielern), aber das liefe wahrscheinlich eh nur auf überflüssige Erbsenzählerei hinaus.

Zum "Der Herr der Ringe" Rollenspiel: Ja, die Publikationen von Pegasus sind die deutsche Übersetzungen des Decipher Spiels. Zwar lassen Covergestaltung und häufige Verwendung von Bildern aus dem Film auf ein reines Merchandising Produkt schließen, dem ist aber gewiss nicht so. Mit viel Liebe zum Detail wurde versucht, Tolkiens Welt in ein Rollenspielsystem einzubetten. So gibt es beispielsweise ein Magiesystem, in dem keine Scharen Feurball schleudernder Superzauberer das Spielgeschehen dominieren. Die Magie ist fast so subtil wie bei Tolkien. In den Regeln werden auch tiefgreifendere Informationen genannt, die in den Filmen nie vorkamen. In den Quellenbüchern wird sogar ausdrücklich auf die Unterschiede zwischen Film- und Buchcharakteren hingewiesen.
Unabhängig vom Hintergrund finde ich die Regeln gelungen. Sie sind einfach zu lernen und dennoch komplex. Die meisten Regel gestützten Handlungen verlaufen folgendermaßen: Es gibt einen Zielwert, den es mit 2W6 zu erreichen gilt. Fertigkeiten (Talente) bestimmen dabei mit Modifikatoren das Wurfergebnis an. Hört sich simpel an, ermöglicht im Spiele aber eine Menge Variation.
Aufgrund der niedrigen Produktivität Deciphers und der hierzulande eher geringen Resonanz ist das deutsche HDR-Rollenspiel leider gestorben.
Er war der geborene Maler. Keiner von den ganz großen natürlich; und doch hat ein Blatt von Tüftler seinen eigenen Reiz.
Benutzeravatar
knechtodawas
 
Beiträge: 241
Registriert: So, 11 Jan 2004, 0:44

Beitragvon Halatir » So, 09 Jan 2005, 19:13

Danke, knechtodawas. Deine Info bzgl. des HdR-Rollenspiels von Pegasus werde ich dann in den zweiten Teil meiner Betrachtungen einbauen. Daß D&D aus einem Tabletop entstanden ist, wußte ich noch gar nicht. Hab ich mich nie mit befaßt. Man spielt das mit Figuren auf einer Art Landschaftsmodell, oder? Magira sagt mir dagegen schon mehr...war das nicht sogar der Hintergrund für das Midgard-System oder sind das zwei Paar Schuhe? Auf jeden Fall erinnere ich mich nebelhaft, vor vielen, vielen Jahren einmal Midgard und irgendwann auch auf dem Magira-Hintergrund gespielt zu haben. Gefiel mir auf Anhieb viel besser als z.B. DSA, konnte sich aber leider nicht dagegen behaupten.

Aber wo du mich schon drauf gebracht hast, einen ganz wichtigen Teil der Rollenspielszene hab ich auch noch vergessen: LARPs. Hier also mein Rollenspiel-Überblick, Teil 1,5:

Bei den bisher besprochenen Regelsystemen handelte es sich nur um die sogenannten Tisch- oder Pen&Paper-Rollenspiele. Spieler und Spielleiter versammeln sich in entspannter Runde und bei möglichst schummriger Beleuchtung gemütlich um einen Tisch, auf dem die nötigen Utensilien (Karten- und Dokumentmaterial, Schreibgerät, Würfel und v.a. die "Charakterbögen" mit den Fähigkeitswerten der Helden), griffbereit angeordnet sind. Die Abenteuer, moderiert durch den Spielleiter (der bei größeren Spielrunden mit zweistelligen Teilnehmerzahlen, z.B. bei Conventions, auch schonmal von einem oder zwei Assistenten unterstützt wird), finden lediglich in den Köpfen der Spieler statt, wobei die Gespräche der Helden mit den diversen Nichtspielercharakteren (die Bewohner der Hintergrundwelt, die vom Spielleiter verkörpert werden) möglichst lebensecht ausgespielt werden sollten.

Es gibt aber noch eine andere Variante: die sogenannten Live-Rollenspiele (live action role playing games, kurz LARPs). LARPler sind sozusagen die Extremsportler unter den Rollenspielern. Anstatt sich nur vorzustellen, in eine Rolle zu schlüpfen, werden hier die Rollen mit allem drum und dran (Kostüme, Rüstungen, Waffenatrappen, Maskierungen usw.) wie bei einer Art Improvisationstheater quasi live und unter Freiluftbedingungen, bei Wind, Hitze oder Regen, gespielt. Dazu werden ganze Burganlagen komplett mit umgebenden Wald- und Wiesengrundstücken für mehrere Tage angemietet. In Extremfällen nehmen viele hundert Rollenspieler daran teil, die in eigens eingerichteten Zeltlagern übernachten und alle versorgt werden müssen. Moderation, Überwachung und Organisation dieser LARPs werden von einem kompletten Team übernommen, dessen Mitglieder sich ständig untereinander koordinieren müssen. Solche Großveranstaltungen finden aus offensichtlichen Gründen nur ein-, zweimal im Jahr statt, den Rest des Jahres braucht das Team, um das nächste LARP-Event vorzubereiten.

Leider hatte ich bisher nicht die Freude, an so einem Event teilzunehmen, aber interessieren würde es mich schon. Hab gehört, daß man vor allem als Ork-Darsteller ziemlich viel Spaß haben soll (durch den Wald rennen und nichtsahnende, mickrige Elfendarsteller erschrecken, Schlammbäder nehmen usw.). Falls ich jemals die Gelegenheit habe, erzähl ich euch davon.
Benutzeravatar
Halatir
 
Beiträge: 22
Registriert: Mo, 03 Jan 2005, 19:13
Wohnort: Heiligenroth (Düsterwald)

Beitragvon knechtodawas » So, 09 Jan 2005, 20:05

Ja, Tabletops sind die Strategiespiele, bei denen riesige Schlachten mit Miniaturen ausgetragen werden. Gary Gygax erschuf ein Regelwerk für ein solches Spiel namens Chainmail, bei dem nur wenige Figuren im Mittelpunkt standen, die dafür ausgearbeitere Spielwerte besaßen. Daraus entwickelte sich bald D&D, dass sich in den folgenden Auflagen komplett von den Miniaturen lossagte. Das und vieles mehr kann hier nach gelesen werden:
http://www.die3sphaere.de/hort-des-wissens/geschichte-d-r.htm

Midgard hat sich übrigens tatsächlich aus Magira entwickelt.
Er war der geborene Maler. Keiner von den ganz großen natürlich; und doch hat ein Blatt von Tüftler seinen eigenen Reiz.
Benutzeravatar
knechtodawas
 
Beiträge: 241
Registriert: So, 11 Jan 2004, 0:44

Beitragvon Aldebaran » So, 09 Jan 2005, 22:03

Danke Halatir für die umfangreiche Einführung in dies Thema. :)

Rollenspiele in Mittelerde.
Mhh, da ich nicht genau weiß, wie sowas abläuft und vor allem, in welchem Rahmen es sich bewegt, mag ich jetzt noch gar nichts dazu sagen (aber eigentlich denke ich, ich bin eher dagegen - klar was ich meine? *g*).
Mit "Rahmen" meine ich in diesem Fall, wie weit sich alles von dem Geschriebenen von Tolkien entfernt. Ich stelle es mir zum Teil recht schwer vor, da Tolkien seine Geschichten so geschrieben hat, wie er sie geschrieben hat. Und was soll da noch gesagt werden? Gut, es gibt viele Dinge (besonders aus dem 1. und 2. Zeitalter), die nur angedeutet sind, aber da ich das für einen wesentlichen Teil des Werkes halte, mag ich gar nicht daran denken, was sich mancher dazu ausdenkt.

Aber Halatir, laß Dich durch meine Meinung nicht davon abhalten, Deine Ausführungen hier weiter zu schreiben. ;) Ich finde sie sehr interessant, zumal alles in kompakter Form zu lesen ist.
"...und jene, zu denen diese Musik dringt, die hören sie immerdar in ihrem Herzen, und nie mehr verläßt sie die Sehnsucht nach der See."
Benutzeravatar
Aldebaran
PDTB-Team / Moderatorin
 
Beiträge: 1603
Registriert: Do, 13 Feb 2003, 22:16
Wohnort: Kaiserslautern

Beitragvon knechtodawas » So, 09 Jan 2005, 22:31

Natürlich ist es durchaus möglich, dass es bei derartigen Rollenspielrunden zu Handlungsverläufen kommt, die nicht in Tolkiens Sinne wären. Da Personen, die Mittelerde als Rahmen für ein Rollenspiel benutzen, mit Tolkiens Werken vertraut sein dürften, sehe ich in dieser Hinsicht allerdings kaum Gefahr. Diese Leute wissen in der Regel, was angemessen ist und was nicht.

Im Roman ist nur ein Teil der Ereignisse des dritten Zeitalters festgehalten. Nur weil dort etwas nicht erwähnt wurde, kann es doch trotzdem passiert sein. Hat Tolkien selber nicht einmal die Idee einer Mythologie gehabt, die von anderen Leuten ständig erweitert und lebendig gemacht werden sollte (Biographie?)? Solange man zwischen den "echten" Ereignissen Mittelerdes und den eigenen Ideen am Rollenspieltisch unterscheiden kann, sehe ich jedenfalls keine Probleme.
Er war der geborene Maler. Keiner von den ganz großen natürlich; und doch hat ein Blatt von Tüftler seinen eigenen Reiz.
Benutzeravatar
knechtodawas
 
Beiträge: 241
Registriert: So, 11 Jan 2004, 0:44

Beitragvon Aldebaran » So, 09 Jan 2005, 22:40

Ok, da ich nicht weiß, wie genau dies beim Rollenspiel abläuft, kann ich (momentan) schwer ein Urteil dazu abgeben.
Ich warte da auf weitere Erläuterungen von Halatir. ;)
"...und jene, zu denen diese Musik dringt, die hören sie immerdar in ihrem Herzen, und nie mehr verläßt sie die Sehnsucht nach der See."
Benutzeravatar
Aldebaran
PDTB-Team / Moderatorin
 
Beiträge: 1603
Registriert: Do, 13 Feb 2003, 22:16
Wohnort: Kaiserslautern

Beitragvon Ciriel » Mo, 10 Jan 2005, 7:01

Kaum zu glauben, aber ich war auch mal Rollenspieler. :D
Ich habe damit in der 10. Klasse begonnen, eine Gruppe beschäftigte sich eben damit, und irgendwie rutschte ich dort mit hinein. :) Wir haben eine ganz Weile DSA gespielt. Fand ich okay. Später sind wir auf MERS (bzw. MERP) umgestiegen. Das wurde zu der Zeit zwar schon von Queen Games (Iron Crown Enterprises) vertrieben, aber meine Grundbox und einige Abenteuer- und Quellenbücher sind immer noch vom Laurin-Verlag herausgeben (das alles habe ich auch noch).
Außerdem habe ich einmal Midgard ausprobiert.
Es hat mir anfangs richtig Spaß gemacht, auch wenn die Spielleiter häufig wechselten. Allerdings verschoben sich irgendwann die Interessen, plötzlich spielte die Gruppe viel Battle Tech. Ursprünglich als Table Top konzipiert, war auch das Rollenspiel danach ausgerichtet, außerdem mag ich nicht Krieg spielen. Ich weiß nicht warum, aber ich kann Table Tops so gar nicht ausstehen, auf die Dauer war das nichts für mich.
MERS spielten wir weiter, aber irgndwie machte es mir nicht mehr so viel Spaß. Daran, daß diese Welten generell nie ans Vorbild herankamen, hatte ich mich gewöhnt. Ich fand es eigentlich auch gar nicht so schlimm. Ich kann gut verstehen, daß jemand Mittelerde z. B. so ausleben will. Warum auch nicht? ;) Aber die Abenteuer liefen irgendwie immer nach dem selben Schema ab (siehe das Monstertöten). Außerdem waren nicht alle mit dem nötigen Ernst bei der Sache. Nicht, daß es "ernst" sein muss. Aber wenn ich mich zum Spielen verabrede, dann möchte ich nach der Begrüßung auch spielen und nicht drei Stunden warten müssen (das ist nicht übertrieben), bis alle eine Idee für einen passenden Namen haben. Und das kam relativ häufig vor, weil wir einen hohen "Charakterverschleiß" hatten. Zudem durfte ich mir wegen meiner "Hobbitvorliebe" einiges anhören, das nervte auch. Nach und nach verleidete es mir das etwas.
Teile der Gruppe gibt es immer noch, die finden sich auch ab und zu zusammen (allerdings nicht so oft, da sich inzwischen alle mehr oder weniger zwangsweise auf verschiedene Städte aufgeteilt haben). Dann wird allerdings meistens Table Top (Warhammer) gespielt. Davor habe ich mich völlig verschlossen, weil ich es nicht mag.
Bei MERS war ich zweimal Spielleiter (u. a. bei "Der Schrecken der Entwasser"). Es fing spannend und vielversprechend an, dann aber endete es in einem Disaster. Danach war ich nicht mehr so wild darauf, weil ich nicht wieder so viele Charakter auf dem Gewissen haben wollte... ;)
"I play the game for the game's own sake." - S. H.
Benutzeravatar
Ciriel
PDTB-Team / Moderatorin
 
Beiträge: 1361
Registriert: So, 30 Mär 2003, 10:26

Beitragvon Aricia » Di, 11 Jan 2005, 21:07

Hallo alle,

*in die Runde nick*

bin eben in Euer Forum gestolpert und habe gerade die Abhandlung von Halatir über Rollenspiele gelesen. Dabei bin ich hier hängengeblieben, insbesondere, nachdem ich die hübsche Formulierung „LARPler sind sozusagen die Extremsportler unter den Rollenspielern“ entdeckt habe J.
Unschwer zu erraten: Jawohl, ich gehöre zu diesen Extremsportlern. Nachdem ich jahrelang an diversen pen&paper-Runden teilgenommen habe (D&D, Rolemaster, Stormbringer, Shadowrun) bin ich vor 3 Jahren komplett auf LARP umgestiegen und betreibe es, so oft es Zeit und Geld erlauben. Die meisten LARPer haben vorher pen&paper gespielt, hier treffen und vermischen sich die Erfahrungen aus den unterschiedlichsten Systemen und den unterschiedlichsten Fantasywelten. Insbesondere bei den Elbendarstellern stellt sich auch immer wieder die Frage „wieviel Tolkien darf es sein, wie viel DSA etc.... wie zur Hölle spielt man denn jetzt einen Elben?“

Zunächst möchte ich der bisherigen Erörterung noch einige Kommentare hinzufügen, ich glaube Nicht-Rollenspieler konnten bislang noch nicht in die Diskussion einsteigen, weil es nicht so ganz leicht ist, sich vorzustellen, wie so ein Rollenspiel denn genau abläuft.

Ob nun pen&paper oder LARP, ein Rollenspiel ist quasi ein interaktives Fantasyabenteuer, dessen Rahmenhandlung ein oder mehrere Spielleiter für die Spieler darstellen, die ihrerseits in ihren erdachten Rollen auf diese erlebte Handlung reagieren. Beim pen&paper geschieht das durch eine Mischung aus Erzählung und Simulation durch Würfel, beim LARP sorgt eine Spielleiter-Crew, die Regie über eine kostümierte Mannschaft von Statisten (sog. NSCs =NichtSpielerCharaktere) führt dafür, dass die Rahmenhandlung der Geschichte schauspielerisch dargestellt wird. Beim pen&paper werden Kämpfe ausgewürfelt, beim LARP kämpft man „echt“ mit weichen Waffen nach bestimmten Regeln.

Die Kämpfe sollten aber unabhängig vom System in einem guten Spiel niemals Hauptbestandteil des Rollenspiels sein, der Name ist Programm: Vor allem spielt man seine Rolle. Auch in einer guten pen&paper-Gruppe hat man sich nicht nur über technische Dinge wie Fähigkeiten, Charakterklasse etc. Gedanken gemacht, sondern auch über die Persönlichkeit seines Charakters, seine Vorgeschichte, seine Lebensphilosophie. Das ist jetzt meine erste Antwort, Halatir: Wer keinen Wert auf das eigentliche Rollenspiel legt, kann jedes System und in jeder Welt spielen, er kann sich aber auch genausogut an den Computer hocken und Baldur’s gate zocken. Der Vorteil in menschlicher Runde ist, dass man mit von Menschen gespielten Figuren interagieren kann, und wer daran Spaß hat... na für den ist es eigentlich ebenso fast egal, ob er das in den Forgotten Realms, in Mittelerde, nach DSA-, schnickschnack- oder selbsterfundenen Regeln tut. Wer einen Barden spielt, der sollte im LARP ein Instrument spielen und singen können, beim pen&paper langt es vielleicht, hin und wieder mal ein Gedicht zu rezitieren oder eine Geschichte zu erzählen, aber diese kleinen schauspielerischen Einlagen schaffen in jedem Fall das eigentliche Ambiente des Rollenspiels. Mit meiner Stamm-pen&paper-Gruppe waren wir z.B. sehr zur Verzweiflung unseres Spielleiters oft stundenlang beim Händler (während draußen irgendein Mob darauf wartete, uns endlich verprügeln zu dürfen), um den Preis zu diskutieren oder weil der eitle Krieger doch noch mal lieber die Elbe fragen wollte, ob ihm die neue Rüstung eigentlich steht. Das ist jetzt etwas veralbert dargestellt, aber ich denke, es ist klar, worauf ich hinaus will. Charakterinteraktion kann man auf beliebigem Niveau machen, Kämpfe laufen nach einer Weile immer gleich ab. Mit Fantasie kann man auch die Forgotten Realms beleben. Vor kurzem war ich auf einem (LARP-) Con, auf dem die Veranstalter rein nach DSA-Mythologie spielen und es hat mir ausnehmend gut gefallen, obwohl meine Gruppe eher an Tolkien angelehnt spielt. An Tolkien angelehnt... ja, das ist eben der Knackpunkt. Da im Rollenspiel Gerechtigkeit herrschen soll, ist kein System darauf ausgelegt, daß z.B. ein Elb per Definition mächtiger ist oder unverhältnismäßig mehr Begabung für Magie hat als ein Mensch. Eru-sei-dank, kann ich da nur sagen, denn auf Rollenspieler, die nur deshalb einen Elben spielen, weil er so doll und mächtig ist, kann ich gerne verzichten. Andererseits kann man einen Elben, der vielleicht hin und wieder mal ein paar Brocken Sindarin einfließen läßt und sonst noch ein paar kryptische Sprüche drauf hat, der ruhig, milde, der Natur und den schönen Dingen zugewandt ist und vielleicht hin und wieder seinen Bogen benutzt, in nahezu jedem Rollenspielsystem basteln. Ich kann als Tolkien-Elbe auch durchaus mit einem fantasievoll ausgespielten DSA-Elfen interagieren, das kann sogar besonders reizvoll sein. Die LARP-Welt ist da eben freier.


Taugt Mittelerde als Hintergrund für Spielleiter/ Veranstalter? Auf jeden Fall! Sicher, die Handlung muss man selber basteln, aber die Welt ist nunmal mE die detailreichste Fantasywelt, die es gibt, ich schau immer mal wieder gerne in die history of middle earth auf der Suche nach Inspirationen. Wir haben schon beim pen&paper oft irgendein beliebiges Spielsystem genommen und das nach Mittelerde transportiert. Meist haben wir dann, wie jetzt auch im LARP, irgendwo zu Beginn oder Mitte des vierten ZA gespielt, um eine gewisse Unabhängigkeit von den Ringkriegen zu haben und quasi da weiterzustricken, wo Tolkiens „Hauptmaterial“ aufhört. Zudem möchte man auf einem Con nicht Legolas II, III, IV... begegnen, der soll mal schön im Buch oder meinetwegen auch im Film bleiben ;-).

Man muss ja auch nicht unbedingt versuchen, nach Aman zu reisen und in Tolkiens gesamter Welt herumpfuschen. Detailreiche Geschichten kann man lokal hervorragend begrenzen...
Sicher, genaugenommen müssten im 4. ZA sämtliche Noldor entweder tot sein oder im Westen hocken, es dürfte also niemand einen Noldo spielen. Mist. Andererseits wollen wir spielen und nicht eine literarische Vorlage dazu benutzen, um uns wie Irre oder Sektierer darum zu streiten, was denn unser aller Spielleiter Tolkien, im Jenseits hockend, von uns erwartet *ggg*. Ich sehe auch keinen direkten Zusammenhang zwischen dem (meist) geistigen Dünnpfiff, der sich fanfiction nennt und Rollenspielen. Rollenspiel ist letztendlich ein Gesellschaftsspiel und ich sehe nicht, warum sich daran irgendein Tolkien-Fan stören sollte. Natürlich hat man letztendlich irgendwann einmal die Hintergrundgeschichte seines Charakters abgetippt, und das klingt je nach Talent sicher mitunter nach Fanfiction. Andererseits belästigt man damit üblicherweise niemanden, der es nicht hören will und es ist wiederum nur ein Rahmen, auf dem man eben sein Schauspiel aufbaut.


Insgesamt also: Mittelerde im Rollenspiel? Klares: Ja.
Hinderliche technische Details finde ich dabei eher unwichtig .
Über die Frage, ob man auf Tolkienhintergrund spielen darf, streiten sich Rollenspieler natürlich nicht. Wir weisen uns eher gegenseitig auf Tengwar-Schreib- und Sindarin-Grammatik-Fehler hin ;-)
Ich bin mir auch nicht sicher, ob der Professor so begeistert vom Film gewesen wäre.
Aber dazu konnte man ihn eben auch nicht mehr befragen...

(@Halatir: Übrigens gibt es im LARP durchaus Versuche, ohne Regeln und damit auch ohne „Sparten“ zu spielen. Einfach nur nach Vorstellung drauflos, sozusagen. Ich spiele allerdings meist nach dem kommerziellen System DragonSys. Hier gibt es nur drei Charakterklassen, die aber völlig frei ausfüllbar sind, ein „Magier“ kann ein Druide, ein wunderwirkender Kleriker, eine Hexe oder ein durch Musik Zauber wirkender Barde sein, das bleibt jedem selbst überlassen, es ist ausdrücklich nur eine Richtlinie wie z.B. für die „Gewichtung“ selbst entwickelter Zauber)
Aricia
 

Beitragvon Mark » Di, 11 Jan 2005, 21:51

@ Aricia:

Willkommen im Forum! :D
Toller Avatar übrigens...
collector without a cause
Benutzeravatar
Mark
PDTB-Team / Moderator
 
Beiträge: 1561
Registriert: Sa, 04 Jan 2003, 19:55
Wohnort: Berlin

Beitragvon Aricia » Mi, 12 Jan 2005, 1:12

*wink*
Danke!
keltisches Symbol für keltischen Namen :-)

Ich hoffe, ich hab's mit der Länge meiner "Antrittsrede" nicht übertrieben....
Aricia
 

Beitragvon Halatir » Mi, 12 Jan 2005, 19:54

Soviel zu meiner Befürchtung, daß ich Euch mit dem Rolli-Thema nicht hinterm Ofen hervorlocken könnte. Nun sieh sich einer die ganzen Antworten an! Und dann meldet sich auch noch prompt ein LARPer. WOW!!!! Ist das geil hier! :D :D :D

Ahem (*wiedereinkrieg & seriöswerd*). Jetzt aber erst mal weiter im Text.

Willkommen zurück bei meiner kleinen RPG-Übersicht! RPG steht übrigens für Role Playing Game und ist ein gutes Beispiel für die grenzenlose Abkürzungswut von Rollenspielern. Alle möglichen und unmöglichen Dinge werden, wie es eben geht, abgekürzt.

Ihr erinnert euch vielleicht: Rollenspielcharaktere (auch Helden genannt) definieren sich regeltechnisch gesehen über sogenannte "Charakterwerte". Diese lauten z.B. MU, KL, GE, KK, CH, IN usw. Alles klar? MUtationsrate, KLonierbarkeit, GErissenheit, KochKünste, CHorsingen, INkontinenz? Aber nein! Die Auflösung lautet: Mut, Klugheit, Gewandtheit, Körperkraft, Charisma, Intuition. Das ist das Zeug, aus dem Rollenspiel-Helden geschnitzt sind. Die genannten Bezeichnungen sind dem "Schwarzen Auge" entliehen, ähnliche Abkürzungen finden sich aber bei allen mir bekannten kommerziellen Rollenspelen. Beim Schwarzen Auge rangieren diese Werte meist zwischen 1 und 20, wobei ein niedriger Wert eine schlechte Ausprägung bedeutet. Ein Wert von 10 wäre das genaue Mittelmaß und 20 ist das angestrebte Ziel, der bestmögliche Wert, der nur noch von überirdischen und magischen Wesen übertroffen werden kann. Oder anders ausgedrückt: KK 5 = Hemd, KK 10 = Normalo, KK 15 = Bodybuilder/in, KK 20 = Mister oder Misses Universum. Passend dazu liegt dem DSA-Regelwerk ein Dodekadingens..äh...ein 20seitiger Würfel bei. Mit diesem können, wenn es die Spielsituation erfordert, die Werte des Helden "abgeprüft" werden. D.h., der Spielleiter schaut, ob dem Helden ein Vorhaben gelingt, indem er den Spieler auf den entsprechenden Charakter- oder Fähigkeitswert würfeln läßt. Liegt das Würfelergebnis unter oder auf dem Wert, ist's gelungen, liegt es darüber, ging's in die Hose. Den W20 (kurz für 20seitiger Würfel) gab es übrigens bereits schon bei D&D. Zusätzlich werden meist auch die ganz gewöhnlichen sechsseitigen Würfel benutzt, und manche Rollenspielsysteme, vornehmlich solche, die die Charakter- und Fähigkeitswerte in Prozent ausdrücken, verwenden auch zehnseitige Würfel (Dekaeder...?). Ein Rollenspiel-System, das mit Prozentwerten arbeitete, hieß MERS. Und damit wären wir bei Punkt 2.

2. Mittelerde-Rollenspielsysteme

Es war nur eine Frage der Zeit, bis ein amerikanischer Rollenspiel-Verlag sich die Rechte am begehrten Mittelerde-Hintergrund unter den Nagel reißen würde. Dieses geschah Ende der Achtziger durch I.C.E (Iron Crown Enterprises), einem Rollenspiel-Verlag, der soviel ich weiß bis heute noch recht aktiv ist (diverse andere RPG-Systeme und artverwandtes). "Middle Earth Role Playing", kurz MERP, nannte man das Kind ganz einfach. Später gab es mit dem "Mittelerde-Rollenspiel" (MERS) auch eine Übersetzung ins Deutsche, aber da war schon einigermaßen klar, das es sich gegen die großen Rollenspielsysteme nicht würde behaupten können. Da wir (meine damalige Rollenspielgruppe und mit uns wahrscheinlich die ganze, damals noch junge Rollenspielgemeinde) schon ungeduldig auf dieses Spiel gewartet hatten, schafften wir uns gleich für viel Geld die amerikanischen Originale als Importe an. DSA und D&D hatten wir schon durch, und Mittelerde war natürlich die eine, nie erreichte Welt, in der wir unbedingt rollenspielen wollten. Ich kann durchaus behaupten, daß ich einen Großteil meiner heutigen Englisch- sowie meine ersten Elbischkenntnisse diesem Rollenspielwerk verdanke. Um so enttäuschter waren wir natürlich, als sich nach tagelangem Wörterbuchwälzen und Übersetzungsarbeiten herausstellte, daß es sich "nur" um ein ziemlich gewöhnliches Rollenspiel handelte. Ungewöhnlich waren eigentlich nur die Zehnerwürfel, die der Spielepackung beilagen, der Hintergrund aber hatte mit der Welt, die wir aus dem Herrn der Ringe kannten und liebten, nicht viel mehr als den Namen gemein. Es gab die üblichen Kämpfer- und Magier-Heldentypen (vor allem letzteres ließ sich selbst für meine damals noch nicht allzu vertieften Mittelerde-Kenntnisse nicht gut mit dem HdR in Übereinstimmung bringen) und die Spieler konnten alle aus dem Roman bekannten Rassen zur Heldenerschaffung heranziehen. Wenn ich mich richtig erinnere, konnte man sogar einen Halbelben darstellen (obwohl doch Elrond eher eine absolute Ausnahme gewesen sein dürfte). Und die Spielmodule bzw. Abenteuer...nun ja, vielleicht nicht ganz so anspruchslos wie D&D, aber auch nicht wirklich inspiriert - bei der Fülle von gutem Hintergrundmaterial, die das Spiel in diversen Erweiterungssets bot, die sich jeweils auf einen, oftmals im HdR nur gestreiften Ausschnitt Mittelerdes konzentrierten, eigentlich ziemlich verwunderlich. Ich kann mich an ein Diebesabenteuer erinnern, das in Tharbad (vor dem Untergang des Nordkönigreiches) spielte. Die Handlung hätte gut in einen z.B. von den Conan-Geschichten inspirierten Hintergrund gepaßt, aber nach Mittelerde...nein, nicht wirklich. Andere Abenteuer liefen leider oft nach dem aus D&D bekannten Spielschema ab: irgendein Schwarzmagier/Sauron-Anhänger/Hügelgrab-Geist schart eine Menge Orks/Untote/Trolle/Ostlinge/Südrons um sich und bedroht, entweder von Sauron gesteuert oder auf eigene Faust, irgendeinen mehr oder weniger besiedelten Landstrich. Auftrag an unsere Helden: gehet hin und macht Geschnetzeltes aus ihnen. ABER: in einer Hinsicht war MERP durchaus eine gute Anschaffung. Es brachte mich dazu, endlich mein Silmarillion zuende zu lesen, welchselbiges ich Unwürdiger mir vor Jahren gekauft und nach etwa dem ersten Drittel frustriert zur Seite gelegt hatte. Eine MERP-Veröffentlichung, die ich bis heute (immerhin fast 15 Jahre später) noch immer besitze (neben einer ziemlich häßlichen Mittelerde-Landkarte mit ausschließlich elbischen Ortsbezeichnungen), das "Middle Earth Adventure Guide Book II", steckte so voller Querverweise auf das Silmarillion, daß ich nach jedem zweiten Satz darin blättern durfte. Und nachdem ich es dann notgedrungen zuende gelesen hatte, fing ich es gleich wieder von vorne an, langsam beginnend, zu begreifen, welche riesige Welt scih hier entfaltete (aber wem erzähle ich das...) Dieses Guide Book enthielt übrigens auch eine Einführung in Aussprache und Grammatik der Elbensprachen sowie ein kleines Wörterbuch. Etwas vergleichbares war damals in Deutschland nirgendwo zu erstehen (geschweige denn, daß man einem nicht-tolkienistisch veranlagten Buchverkäufer die Notwendigkeit eines solchen Werks hätte plausibel machen können). So schlecht war MERP also gar nicht. Mit etwas Eigeninitiative konnte man schon einiges draus machen. Und doch:

Mit dem Ende der großen Rollenspielwelle, als manch einer aus der ersten Rollenspieler-Generation langsam damit begann, sich zu alt zu fühlen, um weiter diesem Hobby nachzugehen (darunter auch meinereiner, aber das war wohl doch nur eine vorübergehende Krise), starb mit vielen anderen, kleineren Systemen auch MERP bzw. MERS mangels Nachfrage aus. Die Produktionen wurden eingestellt und die Rechte gingen zurück an Tolkien Enterprises, von wo sie dann erst wieder Anfang dieses Jahrtausends an Decipher gingen, die Spielefirma, die dann das Rollenspiel zu den Filmen produzierte (die deutsche Übersetzung wird von Pegasus Spiele vertrieben). Über dieses "Herr der Ringe-Rollenspiel" hat ja knechtodawas bereits angemerkt, daß es besser war, als von einem Merchandising-Produkt eigentlich zu erwarten. Ich selbst besitze nur die zwei Kartensets (Land- und Stadtkarten von den filmwichtigen Gegenden Mittelerdes), die allerdings sehr edel gemacht sind. Dementsprechend war aber auch der Preis ziemlich happig, was mich letztenendes davon abgehalten hat, das Regelwerk zu kaufen. Daher kann ich nicht wirklich etwas dazu sagen. Auch, daß es inzwischen wieder eingestellt wurde, ist mir neu. Damit dürfte dann auch das zweite offizielle Mittelerde-Rollenspiel Geschichte sein. Aber inoffiziell ist Rollenspiel in Mittelerde ganz und gar nicht tot, wie ja auch der Beitrag von Aricia beweist. Unzählige Rollenspielgruppen, ob live action oder pen&paper, in Deutschland und der ganzen Welt leben wahrscheinlich zur Zeit den Mittelerde-Rollenspieltraum (hach, warum nur kaum einer in meiner Gegend??), entweder nach eigenen Regeln oder nach solchen, die eigentlich einem anderen Hintergrund (DSA, AD&D) entlehnt sind (@Aricia: DragonSys sagt mir jetzt nix - das sind wohl reine LARP-Regeln, oder? Gibt es dazu auch Regelwerke? So richtig in Kartons, wie bei DSA?).

So. Damit wäre die kurze Übersicht durchgehechelt. Ist natürlich alles sehr lückenhaft und nicht auf dem neusten Stand. Bitte weiter diese Lücken auffüllen und auf Irrtümer hinweisen. Ich poste das jetzt erstmal und erzähl dann später, welches System ich selbst bevorzuge. Wie ihr vielleicht schon vermutet habt, nachdem ich bei den kommerziellen RPGs mit Kritik nicht gespart habe, bin ich einer von den Rollenspielleitern, die am liebsten alles von vorne bis hinten selbst zusammenschrauben.

(@ Aricia: was meinst du übrigens mit langer Antrittsrede? DAS hier ist lang.
Benutzeravatar
Halatir
 
Beiträge: 22
Registriert: Mo, 03 Jan 2005, 19:13
Wohnort: Heiligenroth (Düsterwald)

Beitragvon knechtodawas » Mi, 12 Jan 2005, 21:21

Ja, das Rollenspiel von Decipher hat wahrlich seinen Preis. Ich habe mir das Regelbuch auch nicht zum Vollpreis von 40 Euro gekauft. Wer überlegt, sich dieses Buch zuzulegen, sollte jetzt zuschlagen:

http://cgi.ebay.de/ws/eBayISAPI.dll?ViewItem&category=8649&item=5948410429&rd=1&ssPageName=WDVW
Er war der geborene Maler. Keiner von den ganz großen natürlich; und doch hat ein Blatt von Tüftler seinen eigenen Reiz.
Benutzeravatar
knechtodawas
 
Beiträge: 241
Registriert: So, 11 Jan 2004, 0:44

Beitragvon Aricia » Mi, 12 Jan 2005, 23:23

(@Halatir: Die Länge könnte ich locker überbieten :-)) Aber ich fürchte, ich würde damit Nicht-Rollenspieler erschlagen)

Ich ergänze das mal kurz für's LARP. Hier gibt es keine Attribute bzw. Charakterwerte. Kein Charakter ist geschickter, klüger, charismatischer oder stärker als es der Spieler ist. Wäre schauspielerisch auch nicht zu machen, der Geschicklichtkeitswert 5000+ nützt einem herzlich wenig, wenn man von Natur aus jemand ist, der ständig über die eigenen Füße stolpert. In dieser Hinsicht hat diese Variante des Rollenspiels Vor- und Nachteile: Einerseits ist man in der Charakterwahl eingeschränkt (ein 10-Zentnertyp wird keinen Elben spielen), andererseits hat man eben die Optik, die Gewandung, die reale Begegnung, die echte Bardenmusik, den echten Met usw., die die Illusion unterstützen. Natürlich gibt es Fertigkeitswerte für bestimmte Dinge, aber generell ist eigentlich die Show wichtiger als die Regel dahinter. Wir haben schonmal, quasi aus Versehen, mit unserem Schlachtruf Untote gebannt, obwohl wir die Fähigkeit eigentlich gar nicht hatten. Die NSCs fanden aber den Ruf so hübsch, dass sie es angemessen fanden, davonzulaufen.

Regel, System, Modul, Hintergrundwelt... das ist mir mittlerweile ziemlich gleichgültig geworden. Wer Tolkien mag, kann ihn überall einbauen. Detailverliebt wie er war, findet man ihn im RPG mE auch eher im Kleinen als in der großen Storyline. und selbst die platte "böser Nekromant von nebenan schart Untote um sich" Geschichte kann sehr spaßig sein mit guten Spielern, die sich noch fürchten können, und guten NSCs, die einen notfalls das Fürchten lehren ;-)
Als vernünftiger Spieler ist auch da genug Raum für Rollenspiel... wer waren denn die Untoten? Ganz normale, unschuldige Menschen? Grauenhaft, das ist ja wie bei den Orks damals... *Platz für Anrufung von Elbereth*. Irgendjemand bleibt immer hinter der Schlachtreihe liegen, Platz genug für den Versuch, sein (Charakter)-Leben für das eines Freundes aufs Spiel zu setzen. Ganz in Tolkiens Sinne. Platz für den barden, uns in einer ruhigen Minute durch seine Lieder Trost und Hoffnung zu spenden, für den Hobbbit, zur Aufmunterung viel zu viel Eintopf für alle zu kochen, für den Waldelb zur Besinnung im Wald meditieren zu gehen und für den menschlichen Krieger, sich darüber zu wundern, wo denn der Elb schon wieder ist.
Kleinigkeiten dieser Art nehmen im LARP naturgemäß mehr Raum ein als beim pen&paper, niemand hat den Atem, sich über ein gesamtes Wochenende über alle halbe Stunde zu prügeln. Es gibt auch Cons, auf denen es überhaupt keine Feinde gibt, da wird nur Charakterspiel gemacht und die Leute langweilen sich trotzdem nicht! Man SAGT eben nicht wie beim pen&paper "ich trinke jetzt einen Met", sondern man tut es wirklich, und das dauert seine Zeit. Derweil unterhält man sich eben mit den anderen tavernengästen, erfährt woher sie sind, was sie so denken etc. Ich glaube fast, ins LARP kann man daher Tolkien leichter einbauen als ins pen&paper, weil es eben in mancher Hinsicht doch freier ist.
Aricia
 

Beitragvon Halatir » Sa, 15 Jan 2005, 2:35

Liebe Freunde des Rollenspiels,
liebe interessierter Leser,
liebe Skeptiker,

auf geht's in die letzte Runde meiner kleinen Einführung in die Rollenspielszene. Nach all dem Vorgeplänkel möchte ich heute etwas darüber erzählen, wie ich zu meinem Hobby gekommen bin, was mich daran fasziniert, wie ich es interpretiere und warum es mich immer wieder nach Mittelerde zieht.

3. Teil - Rollenspiel in Mittelerde, oder: darf man dem Herrn der Ringe sowas antun?

"Die Helden seiner Kindheit verrät man nicht." Mit diesem Standardspruch begegne ich Leuten, die meine Begeisterung für Tolkien's Herrn der Ringe nicht ganz nachvollziehen können. Der Schlüssel zum Verständnis der "Sehnsucht nach Mittelerde", wie es wohl mal jemand genannt hat, liegt bei mir (und ich wage einmal zu behaupten, bei vielen anderen HdR-Fans auch) in diesem scheinbar simplen Satz. Nachdem ich, etwa zehn Jahre alt, den Herrn der Ringe nach einigen anfänglichen Schwierigkeiten, dann aber fast ohne Pausen wie besessen zu Ende gelesen hatte, machte sich bei mir ein Gefühl der Leere breit. Das sollte es gewesen sein? Nur ein einziger (zum Glück nicht ganz so kurzer) Blick in diese erstaunliche, sagenhafte Welt voller wilder Schönheit, dunkler Offenbarungen und mythischer Wesen? Und danach - nichts? Vom 'Hobbit' und dem 'Silmarillion' hatte ich ja noch nichts gehört, die entdeckte ich erst viel später. Und als dann ein Freund, der von Mittelerde genauso begeistert war, vorschlug, wir sollten uns doch einmal diese neuartigen und als Geheimtipp geltenden "Rollen-"Spiele ansehen, war ich Feuer und Flamme, sah ich mich doch schon als kühner Recke über die Ebenen von Rohan reiten. Die Spielpraxis war dann, wie schon erwähnt, eher ernüchternd. Allerhand Fantasy und Monstergekloppe, aber von Tolkien-Flair kaum eine Spur, selbst im offiziellen Mittelerde-Rollenspiel (MERS), das wir in vielen Spielesessions ausgiebig testeten.

Was mich von Anfang an am Rollenspiel faszinierte, war die Möglichkeit, einfach so zum Spaß und mit anderen zusammen eine eigene Geschichte zu erfinden. Eine Art dynamischer Erzählung, in Grundzügen vom Spielleiter erdacht und von den Ideen und Reaktionen der Spieler in ungeahnte Bahnen gelenkt. Stufen, Regeln und Werte waren mir egal, was zählte, war eine gute Story, interessante, vielschichtige Charaktere und eine dichte Atmosphäre. Ich entwickelte denn auch recht früh ein eigenes Rollenspielkonzept, das auf diesen Vorstellungen beruhte und nur ein absolutes Mindestmaß an Regeln und Wertetabellen zuließ. Heldenklassen gab es keine, jeder konnte den Helden spielen, der ihm vorschwebte usw. Zu meiner Enttäuschung stieß ich in meiner damaligen Rollenspielgruppe damit allerdings auf kein großes Interesse. Ich war bis dahin noch gar nicht auf die Idee gekommen, daß jemand gerade die Regelfuchserei oder die Zahlenspielereien, die mir persönlich eher lästig waren, interessant finden könnte. Besonders befremdlich fand ich, daß viele das Spiel als eine Art Wettbewerb aufzufassen schienen: wer ist der stärkste Kämpfer? Mit welchem fiesen Monster kann ich meine Heldengruppe am effektivsten über den Jordan schicken? usw. Die Idee, gemeinsam ein Abenteuer zu bestehen, sich dabei gegenseitig zu unterstützen und zu ergänzen oder gar in einem Konflikt eine friedliche Lösung anzustreben anstatt zum Schwert zu greifen, war, gelinde gesagt, verpönt.

Viele Jahre später kam übrigens mit dem World-of-Darkness-Rollenspiel "Vampire: the Masquerade" ein neuer Rollenspiel-Ansatz aus Amerika: das Storytelling-Konzept, in dem sich viele meiner Ideen wiederfanden. Zu dieser Zeit hatte ich mich allerdings schon aus dem aktiven Rollenspielerleben zurückgezogen und meine ursprüngliche RPG-Gruppe war in alle Winde verstreut. Fast hätte ich mich damit begnügt, nur noch als außenstehender Beobachter die Szene ein wenig im Auge zu behalten, als mich einige Freunde, die ich von einem Musikprojekt kannte, fragten, ob ich nicht mal Lust hätte, einen Rollenspielabend auszurichten. Sie hatten bereits das "schwarze Auge" gespielt und fanden das ganz witzig. Ich sagte zu, nichts ahnend, daß auf den einen Abend noch viele andere folgen würden. Bald führte ich, um vom "Schwarzen Auge" wegzukommen, den Mittelerde-Hintergrund ein. Meiner Meinung nach muß eine Rollenspielwelt, gerade weil sie ein reines Produkt der Phantasie ist, umso glaubhafter und konsistenter wirken. Und das bietet eigentlich nur das gute alte Mittelerde mit seinem fast grenzenlosen Reichtum an Sagen und Geschichten, fremdartigen Wesen, ursprünglicher Natur und lebendigen Kulturen.

Zur Zeit treffe ich mich mit dieser "neuen" Rollenspielgruppe nur etwa zwei- bis dreimal im Jahr. Das ist auch ganz gut so, weil ich als Rollenspielleiter den Ehrgeiz habe, alles in Eigenproduktion zu machen, und das bedeutet mehr Arbeit, als man annehmen sollte. Seit den Filmen spielen wir eigentlich nur noch in Mittelerde (vorher hatte ich außerdem noch versucht, einen eigenen Rollenspielhintergrund zu etablieren der jedoch nicht besonders gut ankam - meine Eigenkreationen tendieren dazu, ins düster-unheimliche abzudriften, und klare Unterscheidungen von gut und böse nicht zuzulassen). Offensichtlich hat die Tatsache, daß wir uns dank der Filme jetzt alle in etwa das gleiche Bild von den Landschaften und Bewohnern Mittelerdes machen können, dazu geführt, daß wir uns ohne große Anstrengung gedanklich dorthin versetzen und gleich drauflos rollenspielen können (was früher immer erst nach langem "Vorspiel" mit passender Musikuntermalung usw. möglich war).

Leider bestehen meine Spieler immer noch darauf, die Handlung unserer Rollenspielkampagne (= mehrere aufeinanderfolgende Abenteuer, die aufeinander aufbauen und durch einen roten Handlungsfaden miteinander verbunden sind) parallel zum Zeitrahmen des Herrn der Ringe laufen zu lassen (d.h., wir spielen das Ende des dritten Zeitalters nach), aber immerhin habe ich schon Interesse an anderen Zeitaltern erwecken können. So plane ich, eine Kampagne in den letzten Tagen von Numenor anzusiedeln, worin die Helden den dunklen Plänen Saurons des Verführers auf die Schliche kommen und versuchen müssen, dem Untergang zu entgehen (den sie allerdings nicht verhindern können, höchstens vielleicht die Vernichtung von Elendils Flotte). Auch die ersten Kontakte der Menschen mit den Elben, als Morgoths Schatten schwer auf den riesigen Wäldern und Ebenen von Mittelerde lag, scheinen mir das eine oder andere Abenteuer wert zu sein (da könnte ich dann auch die Karte aus dem Silmarillion verwenden, mit Ossiriand, Beleriand usw....hach ja). Der Kampf des nördlichen Königreichs gegen den Hexenkönig von Angmar wäre ebenfalls ein schaurig-schöner Hintergrund für eine Rollenspiel-Kampagne. Und selbst gegenüber einem Abenteuer im Vierten Zeitalter bin ich nicht ganz abgeneigt, da die Spieler hier zumindest auch Halblingcharaktere spielen dürften (bis auf Bilbo, Frodo, Sam, Pippin und Merry gab es ja bis zum Ende des Dritten Zeitalters keine Hobbits, die auf Abenteuer ausgezogen wären). Nur mit Elben ist da halt Pustekuchen. Müssen die denn auch alle abhauen...?

Um zu verhindern, daß unser Rollenspiel-Mittelerde zu sehr vom tolkienistischen Vorbild abweicht, habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, vor jedem Rollenspiel-Abenteuer zu prüfen, ob die Ereignisse darin mit dem vom HdR vorgegebenen Ablauf in Übereinstimmung zu bringen sind (die Zeittafeln im Anhang helfen dabei ungemein). Stilistische Irrungen und Wirrungen versuche ich bei mir selbst mit strenger Kontrolle und bei den Spielern mit sanfter Gewalt zu unterbinden. So ist es zwar wohl nicht unmöglich, in Mittelerde einen Barbaren oder eine amazonenhafte Kriegerin zu spielen, aber das müßten dann schon Dunländer, oder Nordmänner aus den Ettenöden sein (die beide zu den von Sauron bzw. dem Hexenkönig korrumpierten Völkern gehören) bzw. Waldmenschen oder Angehörige des Volkes von Haleth (das schon lange vor Beginn des Dritten Zeitalters aufgehört hat, zu existieren). Auch Magieanwender haben es bei mir eher schwer (die Istari sind ja nun mal keine Menschen sondern Maiar und der einzige Mensch, der zumindest dem Namen nach ein Magier gewesen sein könnte, der Hexenkönig, dürfte seine dunklen Künste bei Sauron selbst gelernt oder sie erst durch seinen Ring erhalten haben). Sollte ich dennoch einen Magier-Charakter zulassen, muß dem Spieler sich schon eine ziemlich gute Erklärung eingefallen sein, wie sein Held denn zu diesen Kräften gekommen ist. A propos Zauberei: wie im HdR sollte diese eher unauffällig, fast schon natürlich wirken. Teleportationszauber, Wiedereweckungen und derlei haarsträubliche Unmöglichkeiten gibt es vielleicht bei D&D, aber nicht bei mir...

Die Abenteuer, die ich bisher für den Mittelerde-Hintergrund entwickelt habe, gingen alle auf Fragen zurück, die mir beim Lesen von Tolkiens Romanen bzw. des Silmarillion durch den Kopf gingen. So fragte ich mich z.B., ob denn nur Elrond über die Liebe seiner Tochter zu einem sterblichen Menschen bestürzt war (von den Reaktionen der anderen Elben wird nichts gesagt). In meinem ersten Abenteuer folgen die Helden den Spuren eines Elben aus Bruchtal, der insgeheim in Arwen verliebt ist und über ihre Entscheidung für Estel zu verzweifeln droht. Er stürzt sich in allerlei Wagnisse und Abenteuer und wird schließlich, an den Grenzen des in Ruinen daliegenden Reiches von Angmar, von Orks gefangen. Die Helden, von denen einer ein guter Freund dieses Unglücklichen ist, müssen versuchen, ihn zu retten. Dabei stoßen sie in den Ettenöden auf ein verschlossenes, feindseliges Volk von Nordmännern (die einst vom Hexenkönig versklavt wurden), deren Vertrauen sie gewinnen müssen, um von ihnen Informationen über den Verbleib des gefangenen Elben zu erhalten.

Ganz allgemein versuche ich, mich möglichst weit von den Handlungsplätzen des HdR entfernt zu halten und jene Landstriche zu beanspruchen, die dort nur gestreift werden. Die Ereignisse und Personen des Romans kommen meistens nur gerüchteweise in meinen Abenteuern vor.

So wird z.B. im HdR von Lothlorien einmal kurz erwähnt, daß es während des Ringkriegs mehrfach angegriffen wurde, aber näheres wird nicht berichtet. Warum also nicht ein Abenteuer erdenken, bei dem die Helden bei der Verteidigung des Goldenen Waldes helfen müssen? Das gleiche gilt für Esgaroth, das wiedererbaute Thal und den Einsamen Berg. Den Einwand, daß man sich dabei vielleicht zu sehr von Tolkiens Vorlagen entfernt, kann ich durchaus verstehen, aber mit einigen Recherchen in den Romanen und im Silmarillion kann man, meiner Meinung nach, verhindern, daß die Dinge zu sehr aus dem Ruder laufen. Und außerdem: es ist ja nicht wirklich Tolkien's Mittelerde, in dem man da herumwerkelt, sondern eine eigene Rollenspiel-Version davon, quasi eine Parallelwelt, die Tolkiens Welt nur ähnlich ist. Zumindest kann man sich damit herausreden. Hmmm...da kommt mir eine Idee: vieleicht sollte ich meine Kreation HMERPF nennen. "Halatir's Middle-Earth-Role-Playing-Fantasy" oder so. Was meint ihr?

Uff. Das reicht jetzt mal wieder, oder? Falls jemand an weiteren Abenteuerbeschreibungen und -ideen (vielleicht für eigene Rollenspiel-Projekte...?) oder gar an meinen derzeitigen Rollenspiel-Regelwerk (eine "DSA-Adaption" mit dem schönen Namen URK) interessiert sein sollte, bitte mailen!

Soweit also meine persönlichen Vorstellungen zum Thema Rollenspiel in Mittelerde. Ich hoffe, dem einen oder anderen die für Außenstehende oft unverständlich und verschworen erscheinende Welt des Rollenspiels ein wenig erhellt und möglicherweise Interesse an diesem mir immer noch sehr lieben Hobby geweckt zu haben.

Vielen Dank für die Reaktionen bisher, vor allem an knechtodawas und Aricia, die mit ihren Ergänzungen zur Herkunft des Hobbys, zum HdR-Rollenspiel und zu LARPs wesentliche Lücken in meinen Ausführungen aufgefüllt haben.

Auf weitere Reaktionen aller Art freut sich

Euer fröhlich frevelnder Halatir
Benutzeravatar
Halatir
 
Beiträge: 22
Registriert: Mo, 03 Jan 2005, 19:13
Wohnort: Heiligenroth (Düsterwald)

Beitragvon Aldebaran » Mi, 26 Jan 2005, 16:32

Ok, solange sich ein Rollenspiel nur am "Rande" der bekannten Geschichten von Tolkien bewegt, kann ich damit leben.

Ich sehe ein, daß das Rollenspiel auf eine Art von Welt zurückgreifen muss und Mittelerde ist dafür sehr gut geeignet. Kaum eine andere "Welt" ist so umfassend von Landschaft, Bewohnern und Geschichte (wenn auch an vielen Stellen nur angedeutet) beschrieben. Als Background sozusagen finde ich es ok.
Sobald aber jemand anfangen würde, sich irgendwelche neuen Geschichten über z.B. die Gefährten auszudenken, wehrt sich alles bei mir dagegen. Mit gefällt einfach nicht der Gedanke, daß jemand an den Figuren und Charakteren von Tolkien weiter arbeitet. Eine gewisse Unvollkommenheit gehört einfach dazu. Auch wenn man vielleicht gerne mehr wissen würde, was nach der Vernichtung des Ringes sich alles noch so tat.

Ja, ich kann die Faszination von Rollenspielen verstehen. Ob ich jemals selbst mitmachen würde? Ich glaube nicht, ich überlasse anderen das und schaue dann höchstens von außen zu. ;)

Aber eine Frage noch.
Wie lange braucht man denn für ein Pen&Paper und so ein Live-Rollenspiel?
"...und jene, zu denen diese Musik dringt, die hören sie immerdar in ihrem Herzen, und nie mehr verläßt sie die Sehnsucht nach der See."
Benutzeravatar
Aldebaran
PDTB-Team / Moderatorin
 
Beiträge: 1603
Registriert: Do, 13 Feb 2003, 22:16
Wohnort: Kaiserslautern

Beitragvon knechtodawas » Mi, 26 Jan 2005, 16:55

Zu der Dauer eines Live-Rollenspiels kann ich nicht viel sagen, aber ich denke, dass es dabei sich um ein verlängertes Wochenende handelt, an dem durchgängig gespielt wird. Bei P&P-Rollenspielen ist das ganz unterschiedlich. Obwohl man oft vor dem Hintergrund einer umfassenden Rahmenhandlung spielt, ist das Spiel in der Regel in abgeschlossene Abschnitte, so genannte Abenteuer eingeteilt. Manche Abenteuer lassen sich innerhalb eines Abends locker bewältigen, andere wiederum dauern zwanzig Stunden oder mehr, die sich natürlich beliebig auf verschiedene Tage verteilen lassen.
Er war der geborene Maler. Keiner von den ganz großen natürlich; und doch hat ein Blatt von Tüftler seinen eigenen Reiz.
Benutzeravatar
knechtodawas
 
Beiträge: 241
Registriert: So, 11 Jan 2004, 0:44

Beitragvon Halatir » Mi, 26 Jan 2005, 20:23

@ Aldebaran: wie Aricia mir kürzlich hinsichtlich LARPs gemailt hat: Zuschauen gibts nicht, Mitmachen ist gefragt. Vielleicht können wir ja mal ein kleines Rollenspiel im Forum veranstalten...? Übrigens: vielleicht kann ich euch in Bälde berichten, wie es auf so einem LARP-Event zugeht. Die treffen sich doch tatsächlich schon im März und übernachten in ZELTEN. Brrrr....

In einer Hinsicht hab ich übrigens geflunkert. Es gibt einen Bereich, in dem ich nicht versuche, mich strikt an den Herrn der Ringe zu halten, und das ist die doch recht klare Einteilung in Gut und Böse (dazu habe ich auch im Tolkien-Forum ein anderes Thema eröffnet). Obwohl es auch bei mir keine friedfertigen Orks gibt, versuche ich hin und wieder, für Nur-die-Filme bzw. Roman-Kenner überraschende Charaktere einzubauen. In einem Abenteuer gab es einen zornerfüllten und getriebenen Elben (Feanor-style), in einem anderen einen jungen Ostling, der durch die Liebe zu einem Elbenmädchen zum Guten "bekehrt" wurde sowie einen schwarznumenorischen Söldnerführer, der durchaus Ehrgefühl kannnte. Die beiden waren übrigens für ein tragisches Ende vorgesehen, aber meine Spieler konnten sie (entgegen der Spielplanung) retten.

Diese Ideen gehen natürlich alle auf Sam Gamdschies inneren Monolog zurück, als er den erschlagenen Südron sieht (im Film wird dieser von Faramir gesprochen). Das ist einer meiner Lieblingsstellen im HdR und ich hätte gern mehr davon gehabt.
Benutzeravatar
Halatir
 
Beiträge: 22
Registriert: Mo, 03 Jan 2005, 19:13
Wohnort: Heiligenroth (Düsterwald)

Beitragvon Aldebaran » Fr, 15 Apr 2005, 20:31

Ich möchte hier auf einen Artikel mit dem Namen "Rollenspiel in Mittelerde, Eine Einführung" in der jüngsten Ausgabe (Nr. 23, 3/2004) des Flammifer von Westernis hinweisen.
Auf ganzen sechs Seiten berichtet ein hier nicht unbekannter über die Welt der Rollenspiele. 8)
Nochmals Danke dafür!
"...und jene, zu denen diese Musik dringt, die hören sie immerdar in ihrem Herzen, und nie mehr verläßt sie die Sehnsucht nach der See."
Benutzeravatar
Aldebaran
PDTB-Team / Moderatorin
 
Beiträge: 1603
Registriert: Do, 13 Feb 2003, 22:16
Wohnort: Kaiserslautern


Zurück zu Diverses

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder