Rudolf Simek: "Mittelerde"

Hier geht es um Literatur, Zeitschriften und andere Sekundärtexte zum Thema Tolkien sowie um Veröffentlichungen (Bildbände, Kalender usw.) von Tolkien-Illustratoren.

Rudolf Simek: "Mittelerde"

Beitragvon Ciriel » Mo, 10 Okt 2005, 6:39

Wie schon an anderer Stelle erwähnt viewtopic.php?t=715, ist gerade von Rudolf Simek das Buch "Mittelerde. Tolkien und die germanische Mythologie" erschienen.

Ich habe es mir gerade gekauft und am Wochenende durchgelesen. Es geht dabei um die Anleihen, die Tolkien in der "germanischen" Literatur (z. B. Skandinavien) und Mythologie gemacht hat. Da geht es unter anderem um die Herkunft der Zwergennamen, aber auch um weniger bekannte Tatsachen wie Anleihen für die Wasa, Beorn, Werwölfen und die Warge. Da geht es um Vergleiche zwischen Odin/Gandalf, Odin/Saruman oder Odin/Sauron, Bedeutungen der Hobbitnamen, freundliche und feindliche Geschöpfe, für die es Belege in früheren Schriften gibt. Simek erwähnt aber auch, was von Tolkien selbst entwickelt wurde. So nahm er mehr als deutlich die Futhark-Runen als Vorbild, nach dem "Hobbit" aber entwickelte er sein eigenes (noch komplizierteres!) System, das kaum noch Ähnlichkeiten aufweist.
Jetzt wird auch der "mittelalterliche" Grund klar, warum die Zwergenkarten nach Osten ausgerichtet sind!
Auch Tom Bombadil findet Erwähnung.

Negativ sind mir einige offensichtliche Tippfehler aufgefallen, erst dachte ich, auch der Name "Melion" (für Melian!) sei ein Tippfehler, da sie aber auch im Index so aufgeführt wird, ist das wohl eher ein "richtiger" Fehler. Okay, man sollte es nicht überbewerten, denn Simek kennt sich gut aus, das muss man ihm lassen.
Allerdings gefällt mir etwas an der Einteilung der Elben und Zwerge nicht. Er sagt, in der Edda gibt es eine Dreiteilung: Lichtalfen, Dunkelalfen und Schwarzalfen (=Zwerge). Gut, mag sein. Aber dann führt er nur 2 dieser Gruppen bei Tolkien auf und vergißt die Dunkelelben, die es ja bei Tolkien gibt (wenn auch nicht böse, nur die Bezeichnung für die Elben, die nie das Licht der Zwei Bäume sahen).

Sehr gut gefallen haben mir wiederum die Namenbedeutungen ("Elbe" kann "Fluss" bedeuten!) und besonders die Namenherleitungen. Gerade bei Eorl habe ich noch eine Menge gelernt und weiss zu schätzen, was "der Junge" für eine doppeldeutige und geschickte Verbindung bedeutet. :)
Auch solche relativ unwichtigen Bezeichnungen wie "Tale of the Years" erscheinen nun in anderem Licht.
Und, ich gebe es zu, grinsen mußte ich, als er zu den Gebäuden kam und die Halle in Edoras mit den wikingerzeitlichen Methallen verglich. Genau die Textstelle, die er zitiert, hatte ich mir für den Vortrag herausgesucht.

Insgesamt kann ich nur sagen: Sehr gut und empfehlenswert.
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Beitragvon Fingolf » Di, 11 Okt 2005, 19:55

*hust* *hust* *staub weg wedel* :wink:
hmm..ich frag mich ob man immer alles bis ins kleinste Atom anaylisieren, spezifieren und vor allem deuten muss.

Meiner Meinung nach kann man auch eine zauberhafte, wunderschöne, voller Geheimnisse und Abenteuer, bestehende Geschichte kaputt analysieren.

Ich hab auch sehr viel von der "Sekundär Literatur" und es sind viele wunderschöne Sachen dabei (ich denke nur an den Atlas von Fonstett) usw.
aber mit sowas wie dem da oben kann ich echt nix anfangen.
Muss den immer alles so extrem sesziert werden, und mit allem möglichen verglichen werden??

(aber vielleicht bin ich auch auch einfach nur zu dumm dafür) *sfg* ;-)

Wie ist den Eure Meinung zu solchen Werken wie das obige, das sehr gut von Ciriel vorgestellt wurde??

Für mich persöhnlich geht mit jeder Analyse, ein Stück von dem wunderbaren Zauber Tolkiens Erzählungen verloren.

(Aber mann muss ja nicht alles lesen, was veröffentlicht wird)
:mrgreen: :twisted:
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Beitragvon Romurald » Di, 11 Okt 2005, 20:21

Ohne das Buch von Simek zu kennen, muss ich dir voll und ganz recht geben.....ich habe zwar auch einige Sekundärliteratur zuhause stehen, aber nix davon gelesen....(außer sowas wie den Atlas, aber das gehört ja nicht in die Kategorie).

Ich habe HdR jetzt vor 22 Jahren erstmals gelesen und der Zauber wirkt immer noch (und immer wieder :wink: ).....ich hätte echt Angst, das danach alles anders wäre.

Wenn ich an eine HdR-Analyse mit wissenschaftlichem Apparat denke (also Fußnoten usw.) dreht sich mir der Magen um.....
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Beitragvon Ciriel » Mi, 12 Okt 2005, 6:25

Ich stimme Euch eindeutig in der Hinsicht zu, daß man Dinge kaputtanalysieren kann. Ich denke auch, daß das dem Zauber der Geschichte sicherlich abträglich ist. Und man sollte es auf keinen Fall zu viel tun. Ich finde auch nicht, daß Sekundärliteratur nötig ist, um ein Werk zu verstehen. Wäre das der Fall, dann hätte sie ihren Zweck verfehlt.
Aber:
Gute Sekundärliteratur (die ist schwer zu finden, aber nehmen wir mal an, ich finde solche Literatur, ich würde Simek z. B. dazuzählen) analysiert nicht kaputt (und gibt vor allem auch mal zu, daß etwas sein könnte, aber nicht sein muss), sondern erläutert tiefgehend. Ich kann es annehmen, ich kann es aber auch zurückweisen.
Sicherlich kann man einfach nur so Spaß an den Zwergennamen haben, das ist gut und richtig so. allerdings gebe ich zu, daß ich ohne Sekundärliteratur nicht die wirklich Tiefe begriffen hätte, die vielen (sehr gekonnten!) Wortspiele und Andeutungen und die Scherze zwischen den Zeilen, die Tolkien verwendet hat (ich glaube, er kannte sich bereits so gut aus, daß er es so gut zu verschleiern wußte, daß es nicht auffiel, sah man nicht sehr genau hin).

Ich denke, gute Sekundärliteratur (und auch nur die) trägt dazu bei, daß man den Autor in gewisser Weise noch mehr zu schätzen weiss in der Hinsicht, daß man bei Tolkien auch die Feinheiten sieht und begreift, wie viel Mühe er sich gemacht und (fast) nichts dem Zufall überlassen hat. So, wie wenn man das erste Mal das Silmarillion liest und begreift, WIE groß diese Welt eigentlich ist.

Wenn ich das Buch lese, bin ich aber auch dazu fähig, einfach nur den Text zu sehen und nicht an die (angeblichen) vielen Bedeutungen zu denken. Denn dann will ich genießen und nicht arbeiten. :)
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Beitragvon Aldebaran » Do, 13 Okt 2005, 8:42

Es geht mir so wie Ciriel.
Ich bin immer wieder erstaunt, wieviel dahinter steht. Praktischerweise schöpfte Tolkien aus einem Zeitraum der Geschichte, der mich auch so (völlig unabhängig) von seinen Werken her interessiert. Und ich in immer wieder erfreut festzustellen, welche Ursprünge und Wurzeln all das hat. Und auch ich kann all das lesen, ohne immer an Hintergründe und sowas denken zu müssen. Einfach nur lesen und genießen, das geht auch. ;)
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Beitragvon Maglor » Mi, 23 Nov 2005, 11:40

Simek ist wohl der herausragenste deutschsprachige Germanenexperte der Gegenwart.
Der Witz ist, erst durch die Kenntnis jener Stoffe, wird einem klar, was Tolkien wirklich mit Mittelerde wollte.
Mittelerde sollte ja nichts anders sein als diese eine Welt in einem früheren (freilich von Tolkien konstruierten) Zeitalter.
Dies darzustellen gelingt Tolkien allerdings nicht so richtig. Sein entscheidender Fehler hierbei ist, glaube ich, dass zuerst die Geschichten schrieb und dann erst die Karten von seinem Sohn nach Geschichten zeichnen ließ. So verzog sich Geografie ins Merkwürdige. Tolkien versucht zwar dies alles mit Plattentektonik und der Wandlung der Welt zu erklären, doch letztlich ist dabei gescheitert, dem Leser deutlich zu machen, dass Mittelerde nichts anderes sei als Mittilgard/Midgard.
Erst wenn man seine Briefe und die Verschollenen Geschichten gelesen hat, wird das ursprüngliche Konzept deutlich... erst wenn man Earendil als Earendel begreift.
MfG Maglor :roll:
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Beitragvon Ciriel » Mi, 23 Nov 2005, 13:03

So ganz streng würde ich das nicht sehen. Mittelerde ist eben mehr als "nur" Midgard, z. B. wohnen dort eben nicht nur die Menschen. Und sicherlich kann man auch Simek vorwerfen, daß er sich ein paar Dinge zu einfach macht. Oft ist nicht wirklich deutlich, ob die Ursprünge nun altnordisch oder altenglisch (und damit (süd-) germanisch) sind. Er vermischt eben beides, wenn es praktisch erscheint. Außerdem läßt es sich rein geschichtlich manchmal schon nicht genua zuordnen. Zudem zeigt sich immer wieder (siehe auch Shippey in "Der Autor des Jahrhunderts in dem Kapitel, als es um Ortsnamen geht, die "Farmer Giles" inspirierten), daß Tolkien noch weit mehr als die bloßen Fundamente als "Grundelemente" benutzt. Oft sind dort dermaßen versteckte Anspielungen oder Witze enthalten, daß man sie gar nicht verstehen kann. Bei einigen Dingen dürfte das sogar selbst Philologen schwerfallen. Da ist sowas wie Garm oder die Zwergennamen schon beinahe "billig".

Herzlich willkommen übrigens. :)
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Beitragvon Maglor » Do, 24 Nov 2005, 12:47

Ciriel hat geschrieben:So ganz streng würde ich das nicht sehen. Mittelerde ist eben mehr als "nur" Midgard, z. B. wohnen dort eben nicht nur die Menschen.

Nun, tatsächlich leben in jenen vormythischen Zeitaltern, die Tolkien erfindet und beschreibt, tatsächlich nicht nur Menschen in Mittelerde. Allerdings führt die Zerstörung des Einen Ringes zu eben diesen: Mittelerde, eine Welt voller Menschen. Alle anderen Völker sterben aus oder schwinden.
Ich halte es für einen wichtigen Punkt, dass Orendel (die deutsche Form Earendels) im Heldenbuch "der erste Held, der je geboren wurde," genannt wird. Dies ist die entscheidende Verbidung zwischen realen Mythen und Sagen und den fiktiven Tolkiens. Earendil der Seefahrer ist der letzte der großen Helden des 1. Zeitalters und zugleich Earendel der erste unter den Helden in der deutschen Literatur.
MfG Maglor
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